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Patrick Modiano: Der melancholische Autor und seine stille Bücher, Study notes of American literature

Dieses Feature aus dem SWR-Fernsehen aus dem Jahr 2010 widmet sich dem französischen Schriftsteller Patrick Modiano. Die Redaktion oblag Gerwig Epkes, die Regie übernahm Günter Maurer. In dem Programm werden Modianos Werke und seine Persönlichkeit vorgestellt. Die Sprecherin ist Doris Wolters, die Sprecher Herbert Schäfer und O-Töne enthalten Auszüge aus Interviews mit Modiano und anderen Personen, die mit ihm zusammengearbeitet haben. In dem Programm wird auch über Modianos Anfänge in der Literatur und seine frühen Werke berichtet.

Typology: Study notes

2010/2011

Uploaded on 12/22/2011

hambery
hambery 🇺🇸

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Download Patrick Modiano: Der melancholische Autor und seine stille Bücher and more Study notes American literature in PDF only on Docsity! 1 Künstlerisches Wort/Literatur SWR2 L i t e r a t u r Redaktion: Gerwig Epkes Regie: Günter Maurer Sendung: 21.09.2010, 22.05 – 23.00 Uhr SWR-Bestenliste: Patrick Modiano – Preisträger 2010 „Ich erfinde nichts“ Ein Feature von Matthias Kußmann Sprecherin: Doris Wolters Sprecher: Herbert Schäfer O-Töne: Patrick Modiano Elisabeth Edl, Übersetzerin Andreas Isenschmid, Kritiker Michael Krüger, Verleger Jochen Schimmang, Schriftsteller Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. © by the author Einen Mitschnitt dieser Sendung können Sie unter der Telefonnummer 07221/929-6030 bestellen. 2 ---------------------------------------------- Musikbett ------------------------------------ T: Isenschmid (2‘50): Wenn man gern im Nebel spaziert und gern in Paris spaziert, und beides gern in Gestalt eines Buches tut – dann ist man mit Modiano sehr gut beraten. T: Schimmang (25’06): Modiano hat keine Botschaften. (…) Ich kann im Grund genommen bei ihm nichts lernen, und trotzdem lese ich jedes seiner Bücher sehr gern und, ja, süchtig, könnte man sagen… T: Isenschmid (39’08): Modiano zu lesen ist wie in den Text hineinschweben, als wäre man ein Ballon, der einen weichen Wind im Rücken hat, man ist immer zwei, drei Faden über dem Boden, nie stößt man an. Die Art, wie er einen Leser bei der hand nehmen und durch den Text bewegen kann – das ist ganz hinreißend, das können nur ganz wenige. T: Edl (): …. -------------------------------------------- Musikbett endet ---------------------------------------------- Anmod.: ….. Zitator: Es war in jener Zeit, da ich mein venezolanisches Erbe verschleuderte. Manch einer redete nur von meiner strahlenden Jugend und meinen schwarzen Locken, andere gossen Hohn über mich. Ich las ein letztes Mal den Artikel, den mir Léon Rabatete in einer Sondernummer 5 schnell, dann kriegt man Angst davor. Es ist wirklich ein verrücktes Buch. Modiano war Anfang 20, als er damit begann und man hat das Gefühl: Der Mensch, der das schreibt, hat nicht nur die gesamte französische Geschich- te des 2. Weltkrieges in sich aufgesogen, die Geschichte des besetzen Paris´, die Geschichte des Schwarzhandels, der Judenrazzias, all das. Sondern es ist auch ein Mensch, der die nicht gerade arme Literatur des französischen Antisemitismus von Celine bis zu explizit antisemitischen Traktaten von Soziologen in sich aufgesogen hat. (…) Alles, was man sich heute als Kulturwissenschaftler lang- sam aneignet, hat dieser 25jährige gelesen, verdaut – und besitzt erst noch die Freiheit, all diese antisemitischen Schmähschriften, all diese gescheiterten Biografien der französischen Anpasser, der Vichy-Leute, in den Mixer zu werfen (…) und durcheinanderzuwerfen. T: Edl (21‘19): So etwas konnte damals und kann auch heutzutage nur ein Autor machen, der selber diesen jüdischen Hinter- grund hat. Erzählerin: Modianos deutsche Übersetzerin Elisabeth Edl. T: Edl (20’26): Er hat in der Bibliothek seines Vaters antijüdische Pamphlete, Bücher und Schmähschriften gefunden. Weil offensichtlich sein Vater diese Sachen ganz genau gelesen hat, weil er wissen wollte, welcher Dinge man ihn anklagt. T: Modiano (4/2’00): Au fond, c´etait l´antisemitisme … (ca. 10 Sek. Stehen lassen, dann Blende und weiter unter Erzählerin und Zitator, ausblenden) 6 Erzählerin: Der Antisemitismus habe ihn früh geprägt, sagte Modiano in einem seiner seltenen Interviews. Zitator: In meinem ersten Buch wollte ich allen diesen Leuten antworten, deren Beleidigungen mich meines Vaters wegen verletzt hatten. Und ihnen, auf dem Gebiet der französischen Prosa, ein für alle Mal den Mund stopfen. (PE 168) T: Isenschmid (8’06): In einem burlesken Buch, in dem manchmal von Satz zu Satz der Handlungsort wechselt, die Person, von der gesprochen wird wechselt, und die Tonart, in der über diese Person gesprochen wird. Spott, Häme, Karikatur, Ironie treiben da ein buntes Spiel miteinander. (Weiter 11’51:) Wir müssen hier noch nachschieben: Es gibt in diesem ersten Buch nicht nur eine Auseinandersetzung mit dem französischen Antisemitismus und der Zeit des 2. Weltkrieges, es gibt auch rotzfreche Herausforderungen des Zionismus. Es gibt Teile, die in Israel spielen, wo dann Schlemilovitch (…) von Geheimdienstagenten gefoltert und niedergeschlagen wird, weil er nicht ein richtig kräftiger, starker Anti-Diaspora-Jude sein will, sondern eben einer ist, der Kafka liest und solche Dinge… Das ist natürlich wahnsinnig kühn! Erzählerin: Am Ende des Romans geht Schlemilovitch nach Wien, um sich von Freud seine „jüdische Neurose“ wegtherapieren zu lassen… Zitator: Ich bin aufgestanden und mühsam bis zum Fenster ge- gangen. Der Psychoanalytiker schluchzte in einer Ecke. Draußen glitzerte der Pötzleinsdorfer Park im Schnee und 7 in der Sonne. Eine rote Trambahn kam die Straße herunter. Ich dachte an die Zukunft, die mir in Aussicht gestellt wurde: Schnelle Heilung dank guter Pflege durch Doktor Freud, Männer und Frauen erwarten mich an der Klinikpforte mit ihren warmen und freundschaftlichen Blicken. Die Welt, voll phantastischer Unternehmungen, summender Bienenstöcke. Der schöne Pötzleinsdorfer Park, hier ganz in der Nähe, das Grün und die sonnigen Wege… Leise schlüpfe ich hinter den Psychiater und tätschle ihm den Schädel. „Ich bin so müde“, sage ich, „so müde…“ (PE 160f.) Erzählerin: Durch „Place de l’Etoil“ gilt Modiano als „junger Wilder“, als großer neuer Provokateur der französischen Literatur. Das paßt ins Jahr 1968 – doch Modiano ist alles andre als ein politisierter „68er“, vom Studieren er auch nichts. Er wirkt introvertiert, schüchtern, linkisch. Er will nicht die Welt verändern, sondern sucht nach der eigenen Identität. T: Krüger (8‘34): Da ist das geheime Herz seiner ganzen Prosa zu finden. Erzählerin: Michael Krüger ist der Leiter des Hanser Verlags. Dort erschienen bislang nur spätere Bücher von Modiano. T: Krüger (weiter): Deshalb haben wir auch jetzt diesen allerersten Roman von ihm verlegt, in dem alle Elemente, die er in den folgenden Büchern ausgesponnen hat, sozusagen noch „aufgewickelt“ vorhanden sind. Da kommt ganz deutlich zum Vorschein seine Herkunft, der Vater, das Judentum usw. Da merkt man, das ist der Punkt, ist der wunde Punkt, das schlagende Herz seines Werkes, das ihn immer 10 einer Beschreibungssprache, und versucht (…) eine Atmo- sphäre, eine seelische Gestimmtheit auszudrücken… Zitator: Ich versuchte ein Geheimnis sogar in etwas zu finden, was gar keines hatte... (ES 39) T: Isenschmid (4’14): Es sind nicht gradlinige, auf ein Ziel gehende Erzählungen, sondern es sind schweifende Annäherungen einer musi- kalischen, träumerischen Art. Wenn man hart konturierte Handlungen haben muß, an deren Ende eine Gewißheit steht, dann ist man mit Modiano nicht gut bedient. Wenn man aber glaubt, daß drei Viertel des Lebens ohnehin aus weich fließenden Phantasien und aus mal verschreckten, mal schönen Träumereien bestehen, dann ist man mit ihm sehr gut bedient und sehr nah am eigenen Leben. Zitator: Und immer diese Mischung aus leichter Trunkenheit und Halbschlaf, in den sommerlichen Straßen, wie nach einer durchwachten Nacht. (ES 97) … Und die Tage, die Monate verstreichen. Und die Jahreszeiten. Manchmal würde ich gern zurückgehen in die Vergangenheit und all diese Jahre noch einmal leben, besser, als ich sie gelebt habe. Aber wie? (ES 95) T: O-Ton Schimmang (10‘36): Er ist schon ein mysteriöser Autor, was besonders fas- zinierend ist, weil das gleichzeitig einhergeht mit der unglaublichen Klarheit und Eleganz seiner Sprache. Er ist ja niemand, der sich stilistisch-teutonisch abquält. Da ist er unglaublich französisch... (Weiter 1’48): Was mich immer fasziniert hat, ist dieses Flüchtige - es geht ja häu- fig auch ums Verschwinden -, dieses Verschwimmende, das trotzdem nie ungenau ist. Das so präzise und in einer 11 wunderbar unangestrengten Sprache beschrieben wird. Aber (…) es bleibt immer ein Rest, es bleiben immer Dinge unaufgeklärt. Zitator: Aber das Leben ging weiter, ohne daß man genau wußte, warum man in einem bestimmten Augenblick eher mit diesen als mit anderen Leuten zusammen war, sich eher an diesem Ort aufhielt als an einem anderen und ob der Film eine Originalfassung war oder eine synchronisierte. In Erinnerung habe ich davon heute nur noch kurze Aus- schnitte... (ES 99) Kleine Ereignisse folgen aufeinander und gleiten über einen hinweg, fast ohne Spuren zu hinterlassen. Man hat das Gefühl, sein eigentliches Leben noch nicht leben zu können und ein blinder Passagier zu sein. (ES 104) T: Isenschmid (n.k.S.): Modiano ist ein außerordentlich melancholischer Autor. Er sucht, ob er einer Liebeserfahrung nachgeht oder sein eigenes Leben in einer Art Biografie aufschreibt, er sucht immer nach dem Quellpunkt eines Schmerzes, der ihn umtreibt, dessen Ort er aber nicht genau kennt und dessen Ausmaß er nicht genau einschätzen kann. Dieses Suchen: Da eine Spur verfolgen, dort eine falsche Spur verfolgen, um am Ende ziemlich offen und doch sehr viel reicher als am Anfang zu enden – das muß man mögen. Erzählerin: Offenbar mögen es die deutschen Leser sehr viel weniger als die Franzosen. Bei uns ist Modiano bis heute ein Geheimtipp, im Nachbarland dagegen eine regelrechte Institution. 12 T: Krüger (15’40): Seit zehn, zwölf Jahren stehen seine Bücher regelmäßig nach Erscheinen auf der Bestsellerliste. Manche halten sich länger, manche kürzer, aber es gibt kein Buch von ihm in Frankreich, das unter 100.000 Auflage publiziert wird. (…) Vor allen Dingen auch die Taschenbücher, er ist auch mit einigen Büchern Schullektüre… In Frankreich braucht er sich um Anerkennung nicht zu sorgen. ------------------------------------------------ Musik ------------------------------------------------------------ Zitator: Ich erfinde nichts. Alle Personen, von denen ich spreche, haben gelebt. Ich treibe die Genauigkeit sogar so weit, sie mit ihren richtigen Namen zu nennen. (ES 118) Erzählerin: Glaubt man diesen Sätzen von Patrick Modiano, ergeben seine Bücher eine fortlaufende Autobiografie. Und tat- sächlich kann man sie als eine Art Pariser Stadtführer nutzen: jeder Platz, jede Straße stimmt. Allerdings stehen die Sätze in einem Roman, und Romane sind bekanntlich Fiktion… Modiano liebt das Vexierspiel zwischen Bio- graphie und Fiktion. T: Isenschmid (20’18): Ja, das ist eine wirklich sehr merkwürdige Melange. Ich glaube, daß am Ende fast alles, sehr viel, autobiografisch ist. Da gibt es natürlich Transpositionen (…), aber so wie ich Modiano lese und so wie ich ihn auch erfahren habe bei diesem längeren Interview, ist es ein eigenes Material, mit dem er arbeitet. Zitator: Ich habe ein Verfahren der Mythomanie angewandt, das mir erlaubt, Wirklichkeit und Fiktion miteinander zu vermischen. Zugleich habe ich den Eindruck, daß diese 15 jüdischer Abstammung, der sich in dieser Zeit der Okkupation und der Verfolgung im Untergrund durch- geschlagen hat, mit eher dubiosen Geschäften, mit Schwarzmarkt und anderem. Der es aber geschafft hat, sich durch diese Zeit in Paris durchzubringen. Das muß wohl nie eine einfache Beziehung gewesen sein zwischen den Eltern. Die beiden Kinder – Patrick 45 geboren und sein Bruder zwei Jahre später – sind zum Teil in Paris aufgewachsen, im 6. Arrondissement, am Quai de Conti, das ist an der Seine. Quai de Conti Nr. 15 ist eine Adresse, die in fast allen Modiano-Büchern vorkommt, in dem seine Figuren immer wieder mal logieren. Dazwischen werden die Kinder immer wieder abgeschoben in Inter- nate oder zu irgendwelchen Freunden aufs Land. Die haben also als Kinder nie ein festes Zuhause gehabt … Erzählerin: … was Modiano seinen Eltern später nicht übel nimmt. Die Umstände seien eben so gewesen … T: Modiano (2/0’40): C´est plutot … les circumctances de la vie … (wie oben) Zitator: Komische Leute. Komische Zeit im Dämmerlicht. Und meine Eltern begegneten einander in dieser Zeit, unter diesen Leuten, ihresgleichen. Zwei verirrte und leicht- fertige Schmetterlinge mitten in einer Stadt ohne Blick. Die Stadt ohne Blick… Aber ich kann es nicht ändern, das ist der Humus – oder der Dung -, aus dem ich hervor- gegangen bin. Die Bruchstücke aus ihrem Leben, die ich zusammengetragen habe, kenne ich zum Großteil von meiner Mutter. Viele Einzelheiten, meinen Vater be- treffend, sind ihr entgangen, die zweifelhafte Welt des Untergrunds und des Schwarzmarktes, in der er sich unter 16 dem Zwang der Verhältnisse bewegte. Sie wußte fast nichts. Und er hat seine Geheimnisse mit sich genommen. (ES 16) T: Edl (13’20): Ein einschneidendes Erlebnis in Patrick Modianos Leben ist der Tod seines Bruders mit 10 Jahren, wo er den einzi- gen familiären Halt auch noch verloren hat. Zitator: Abgesehen von meinem Bruder Rudy, seinem Tod, be- trifft mich, glaube ich, nichts wirklich von allem, was ich hier erzähle. Ich schreibe diese Seiten so, wie man ein Protokoll oder einen Lebenslauf verfaßt, aus dokumen- tarischen Gründen und wahrscheinlich auch, um einen Schlußstrich zu ziehen unter ein Leben, das nicht meines war. Es handelt sich nur um eine dünne Schicht von Fakten und Gesten. (ES 38) T: Schimmang (8‘36): Diese Zeit bis zur Mitte der 60er Jahre etwa: Das war einfach seine Jugend. (…) Wir alle halten unsere Jugend für etwas ganz besonderes, und natürlich ist sie ja auch die Zeit, in der unsere Träume entstanden sind, die Motive, die uns vielleicht ein Leben lang verfolgen. Zitator: Im Herbst 1959 spielt meine Mutter in einem Stück am Théatre Fontaine. An den Samstagabenden (…) mache ich meine Hausaufgaben manchmal im Büro des Theater- direktors. Und ich streife durch die Umgebung. Ich entdecke das Pigalle-Viertel, weniger dörflich als Saint- Germain-des-Prés und ein bißchen undurchsichtiger als die Champs-Élysées. Hier, in der Rue Fontaine, auf der Place Blanche, in der Rue Frochot komme ich zum ersten 17 Mal in Berührung mit den Geheimnissen von Paris und beginne, ohne daß es mir richtig bewußt wird, mein Leben zu träumen. (ES 54f.) T: Modiano (3/4’12): Ce Paris des annees 1959, 60, 61 … Zitator: Ich lege mein Abitur in Annecy ab. Es wird mein einziges Zeugnis bleiben. Paris im Juli. Mein Vater. Meine Mutter. Sie spielt in einer Wideraufnahme von „Die Türen knallen“ im „Daunou“. (…) Der Parc Monceau, wo ich die Artikel über das Ende des Algerienkrieges lese. Der Bois de Boulogne. (…) Ich bin glücklich, wenn ich allein durch die Straßen von Paris laufe. An einem Augustsonntag, im Südosten, Boulevard Jourdan und Boulevard Kellermann, in jenem Viertel, das ich später gut kennen würde, er- fahre ich aus dem Schaukasten eines Zeitungskiosks vom Selbstmord Marilyn Monroes. (ES 72) T: Edl (14’00): Da ist er einfach ausgerissen, hat sich von seinen Eltern losgesagt und versucht, auf eigene Rechnung durch- zukommen. Man muß immer bedenken: Das war gar nicht so einfach damals. Das kommt in seinen Büchern auch immer wieder vor. Man wurde erst mit 21 volljährig, vorher das Elternhaus zu verlassen, war aus juristischen Gründen nicht so leicht. Erzählerin: Und mit 21 Jahren stand die Einberufung zum Militär bevor… Zitator: So schnell wie möglich verschwinden, bevor der Herbst mit seinen Kasernen da ist. 1. Juli frühmorgens, Gare de Lyon. Zug zweiter Klasse, überfüllt. Es ist der erste Ferien- 20 wollte sich nicht als Teil dieser Pariser Aufgeregtheit sehen, hat sich immer zurückgehalten. (…) Ich kann das gut verstehen: Er braucht diese Öffentlichkeit nicht. Er wird in den Büchern vollständig sichtbar, mehr hat er dazu auch nicht zu sagen. Ich kenne ihn nur als den zurückhaltendsten Menschen, der sehr stark überredet werden muß, sich einmal öffentlich zu zeigen. T: Edl (27’03): Sehr beeindruckend schon, wenn einem Modiano die Tür aufmacht. Man steht vor einem Menschen, der einen Meter 98 groß ist… T: Isenschmid (32’32): Er lebt (…) in der Nähe von Jardin du Luxembourg, in der Nähe des Café de Flore. Man ist vom Café de Flore in viel- leicht 15 Minuten bei ihm – das ist der Ort, wo sich das existentialistische Paris seinerzeit abgespielt hat. In einem vielleicht 200 Jahre alten Haus, in einer sehr großzügigen, mit hohen Räumen ausgestatteten Wohnung (…). Man tritt durch eine vielleicht 3 Meter hohe Türe und begeg- net einem fast 2 Meter hohen Mann. (…) Sehr sehr schlank, un grand garcon, wie Le Monde unlängst sagte, und das hat was. Er hat – obwohl, er geht gegen 70 -, er hat etwas sehr Jünglingshaftes, Schlaksiges, er hat eine große Unbeholfenheit, die sich paart mit ausnehmender Freundlichkeit und Weichheit, die sich wiederum paaren mit einer gewissen professoralen Zerstreutheit. T: Edl (30‘21): Aber das hat gleichzeitig etwas sehr einnehmendes. Da ist nichts Gespieltes, nichts Affektiertes. Es ist einfach ein ganz natürliches Erzählen, Reden, Plaudern – ohne irgendetwas vorführen zu wollen. Und auch ohne seine eigene Unbeholfenheit im reden irgendwie kaschieren zu wollen. Für mich hatte das etwas sehr Einnehmendes. 21 T: Isenschmid (36‘34): Also eine sehr schöne, völlig uneitle, nicht herablassende Erfahrung mit einem liebevollen, warmherzigen Menschen, der aber auch froh ist, wenn der Journalist nach 2 Stunden wieder geht. Erzählerin: Modiano tritt in Frankreich fast nie im Radio oder Fernsehen auf, Lesungen gibt er nicht – und in anderen Ländern schon gar nicht. T: Krüger (15‘05): Denn, das hab ich ihm natürlich auch erklärt: „Wenn Sie mal nach Deutschland kämen und auch einem kleinen Fernsehporträt zustimmen würden – dann würde sich sicher auch an den Verkaufszahlen was ändern!“ Aber da hat er freundlich gelächelt und gesagt: „Wenn Sie nicht drunter leiden… Ich leide nicht unter diesen Verkaufs- zahlen.“ Erzählerin: Patrick Modiano sagt, es käme ihm vor, als schriebe er seit 30 Jahren immer wieder das gleiche Buch – was sicher auch für seinen neuen Roman „L‘horizon“ gilt, der bald auch auf deutsch erscheinen wird. Und doch gilt es, mit jedem Buch ganz von vorn zu beginnen. T: Modiano (4/8`42): Il faut repartir an zero, Il faut continuer a ecrire … Zitator (Overvoice): Man fängt immer wieder bei Null an. Man muß weiter- schreiben. Alles ist vergessen. Man muß anfangen, als hätte man noch nichts geschrieben…
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